Anhang I. - Beiträge zu einer Rekonstruktion des früh-abendländischen Hirschtums welcher Cervoismus genannt wird, unter besonderer Berücksichtigung ethymologischer Gegebenheiten

Daß der HIRSCH in der früh-abendländischen Kultur die gleiche Rolle gespielt hat wie sein weibliches Pendant, die HINDIN, in Ostasien, ist heute eine unumstrittene Tatsache. Was der HINDUISMUS heute noch für HINDOSTAN, war einst der CERVOISMUS für das Abendland. Daß zwischen beiden Kulturen damals schon Beziehungen bestanden haben müssen, läßt sich heute noch aus dem Wort verHINDern ableiten: in Europa betrachtete man die HINDUS gleichsam als verHINDerte HIRSCHjünger.

Das Abendland hat mit dem CERVOISMUS längst seine geistige Mitte verloren. Wie mächtig der HIRSCHGEIST aber einmal war und selbst heute noch latent weiterwirkt (vgl. Kubaschewsky, Ilse: »Man nehme einen Hirsch...«, kassensichere Rezepte, München 1949), läßt sich allenthalben noch an unserer Sprache ablesen. Nehmen wir nur einmal das Urwort unseres Seins, das griechische »logos«, die welterschaffende und welterhaltende Macht umschreibend: kein Zweifel, daß damit CERVUS, der HIRSCH gemeint ist! Goethe ahnte es, als er seinen Faust an der Übersetzung dieses ersten Wortes der Bibel scheitern und in den bedeutungsträchtigen Ruf ausbrechen ließ: »HIRSCH tock ich schon, wer hilft mir weiter fort!« Und auch der andere große Übersetzer, Dr. Martin Luther, mußte im Jahre 1521 vor dem Reichstag zu Worms bekennen: »HIRSCHtehe ich, ich kann nicht anders!«

Der heilige Berg jener Zeit war das MatterHORN, von den Franzosen auch heute noch Mont CERVIN, d.i.: der hirschartige Berg, geheißen. Der allgemeine Gruß lautet »CERVUS!«, heute noch im österreichischen »SERVUS« wiederzufinden. Die köstlichste Speise jener Zeit, gekrönten Häuptern vorbehalten, heißt heute noch CERVelatwurst und wird längst gedankenlos von jedermann verzehrt. In fast allen Worten, die etwas über alle Maßen Erhabenes und Großartiges bezeichnen, läßt sich die HIRSCHWURZEL aufspüren. Das Gehirn, der Sitz der menschlichen Vernunft, im Deutschen aus GEHÖRN abgeleitet, heißt im Italienischen il CERVello, im Französischen le CERVeau. Etwas Heiliges nennt man GEWEIHt, z.B. GEWEIHtes Wasser, und ein mächtiges Leitwort bezeichnet man als LOSUNG, woraus erhellt, daß unsere Altvorderen geistig in der Lage gewesen sein müssen, akustisch von vorn Ähnliches hervorzubringen wie der Hirsch substanziell von hinten, was unserer Generation, die nur unverdautes Zeug schwatzt, Hochachtung abnötigt. Einst war es die vitale Lärmentfaltung der HIRSCHES, die man als RÖHREN bezeichnete; noch heute dienen die RÖHREN in unseren Rundfunkempfängern dem gleichen Zweck. Am Wesen des KAPITALEN HIRSCHES orientierte sich die später so heftig angefeindete Weltanschauung des KAPITALISMUS. Wie inkonsequent unsere Zeit geworden ist, läßt sich daran ermessen, daß heute so mancher KAPITALIST gleichzeitig ein SPIESSER ist.

Nicht von ohngefähr erhielt der große spanische Dichter Miguel de Saavedra den Ehrennamen CERVantes, desgleichen der Heilige CERVatius. Und mit CERVerus, dem Höllenhund (ursprüngl.: HöllenHIRSCH) der Alten, war nicht gut Kirschen essen. In der Brunftzeit TREIBT der Hirsch das Tier, daher unser Ausdruck »Er TREIBT es«, d.h.: er führt einen lockeren Lebenswandel. Überhaupt findet man gerade in diesen delikaten Bereichen eine große Zahl cervogener Wendungen, deren Aufzählung zu weit führen würde. Es sei nur erinnert an die Redensart »Jemandem Hörner aufsetzen« od. kurz HÖRNEN. Auch die Redewendung »etwas auf dem KERBholz haben« leitet sich her aus »uf deme CERVholtze« = »auf dem Geweih«.

Interessant ist, daß der HIRSCHkult der Angelsachsen mehr emotionalen, romantischen Charakter hatte. Die englische Bezeichnung für HIRSCH ist bekanntlich the HART oder the DEER, was heute noch in der zärtlichen Anrede »my heart« oder »my dear« fortlebt, obwohl seit dem Hinscheiden des großen Casanova kaum noch ein abendländischer Liebhaber die Anrede »mein HIRSCH« verdient.

Den weißen Fleck unter dem Steiß des Hirsches nennt der Waidmann bekanntlich den SPIEGEL, eine Bezeichnung, die sich im Titel eines deutschen Nachrichtenmagazins bis in unsere Tage erhalten hat.

Das Wort ÄSEN, Inbegriff physischen Wohlbefindens, begegnet uns heute noch in dem französischen Wort für Freude oder Wohlbefinden, l‘AISE. Etre à son aise (sich wohlfühlen) bedeutet ursprünglich: Bei seiner ÄSUNG sein.

Aus der Zeit, da das Essen (ÄSEN) noch eine heilige Handlung war, stammen auch die Bezeichnungen CERViette (Mundtuch), CERVice (Tafelgeschirr) und CERVieren (auftragen). Auch die Worte CERVleischen und CERVetzen lassen einiges von der damaligen Eßkultur ahnen.

Die europäische Sprachforschung hat dieses Zentrum abendländischer Lautgebung bisher in unbegreiflicher Weise vernachlässigt. Weitere Untersuchungen werden zweifellos die These erhärten, daß sich alle vom Abendland ausgehenden Sprachzweige (mit Ausnahme des finnisch-ugrischen) auf das Phänomen des HIRSCHGEISTES zurückführen lassen. Angesichts dieser erstaunlichen Tatsache, welche die Wissenschaft wieder einmal mit dem Unerklärbaren konfrontiert und in ihre Schranken verweist, können wir uns nur demütig dem Volksmund anschließen, der da sagt: »HIRSCH taunt der Laie, und der Fachmann wundert sich.«

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EIN HIRSCH, mit einer Kardanwelle
Döst schmunzelnd auf der Küchenschwelle.

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